Benedikt Birckenbach
Presse zur Ausstellung
Kurz vor der Stille
In weiter Ferne so nah
Borobudur





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Borobudur- Von der Energie der Räume
© Dr.Gabriele Uelsberg ( Rheinisches Landesmuseum Bonn)                                                    PDF 4

Das Skulpturenkonzept, das Benedikt Birckenbach seit nunmehr sechs Jahren verfolgt, wandelt Volumen in Raum, Masse in Energie, Materialität in atmosphärische Farbigkeiten und Zustände in Abfolgen. Das Material, mit dem Benedikt Birckenbach dabei in der Hauptsache operiert, ist Holz, das er meist unmittelbar aus dem Stamm heraus gewinnt. Dabei zerlegt er den gewachsenen Baum in zunächst funktionelle Holzbohlen, wie sie auch zur Erstellung und Gestaltung von Architekturen, Funktionsgebäuden und Einrichtungen zur Nutzung zu verwenden wären. Wichtig ist dabei schon in diesem ersten Arbeitsschritt, dass die mit der Kettensäge gewonnenen Bohlen die Natürlichkeit und Zufälligkeit des Materials beibehalten. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich aus den Holzbohlen jederzeit intentionell der ursprüngliche Stamm wieder herstellen, aus dem sie gewonnen sind. Dies ist wichtig, denn die potenzielle Herleitung aus dem festen kompakten Körper des Baumstammes ist von Gewicht in der Betrachtung der weiteren Vorgehensweise. Aus den Holzbohlen entwickelt Birckenbach nun neue skulpturale Volumina, die jedoch genauso potenziell wie der Baumstamm in ihrer letztendlichen Gestaltung vor allem virtuell existieren und gleichsam als Idee hinter der Gestaltung der skulpturalen Installationen aufleuchten.

In dem hier vorliegenden Katalogbuch sind neben den zwei anderen Werkgruppen die Arbeiten dieser Werkreihe unter dem Überbegriff Borobudur zusammengefasst.Das Borobudur-Projekt, das Benedikt Birckenbach 2004 realisierte, entstand als Installation im Oktogon-Raum des Biologikums des GSF-Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg.
Alle Arbeiten dieser Werkgruppe sind aus dem Baum heraus entstanden. Birckenbach teilt die Stämme in Bohlen, die er dann zu jeweils neuen Skulpturen zusammenlegt, setzt oder konstruiert. Ausgangspunkt dafür war zunächst die Arbeit „Rotation“ von 1999, in der ein propellerartiger Rotor, der aus zehn Brettern gebildet ist, sich unterschiedlich im Raum platziert. In eine Kreisform geschichtet, entwickeln sich die dem Baumwuchsverlauf nach geschnittenen Bohlen in sich gedreht und leicht verschoben in eine dynamische Form, die die Möglichkeit der Bewegungsrotation in sich trägt. Birckenbach hat in dieser Arbeit den inneren Verlauf des organisch gewachsenen Baumes aufgegriffen und ist diesem mit der Kettensäge gefolgt, so dass er eine Struktur erreicht, in der die Veränderung und Bewegung in jedem Stück eingefangen ist: Die Energie, die von den Rotorblättern ausgehend auf den Umraum wirkt, wird physisch erfahrbar. Das Element der Energie wird in seinen Arbeiten in den nächsten Jahren immer deutlicher akzentuiert. Zunächst entwickelt sich jedoch über die Arbeit „Regale“ von 2001 das Prinzip des „Baukasten-Systems“, aus dem sich Räume und Raumvolumina gerieren, weiter. Aus den natürlich geschnittenen Bohlen setzt Birckenbach Konstrukte zusammen, die sowohl Skulptur wie scheinbare Funktionselemente an sich sind. Dabei ist die Platzierung im Raum gleichzusetzen mit einer Bewegung vor Ort, die aus dem statischen Begriff des Regals ein dynamisches sich Verändern im Raum artikuliert, das auf den Umraum Bezug nimmt und jegliche scheinbar funktionelle Zuordnung verweigert.

Dieses Prinzip konkretisiert sich in der Arbeit „Raum für Kagel“ noch deutlicher. Benedikt Birckenbach baut mit zwei Raumwinkeln einen „Dialograum“, den er hier zum ersten Mal mit der Farbe Gelb fasst. Die Bohlen, die durch die sich verjüngende Form des Baumes konisch sind, setzt er gegenläufig ineinander, so dass aus den ungleichen Scheiben wiederum eine gerade Wand entsteht. Diese kontert er im oberen Viertel durch nach außen greifende Bohlen, so dass der Raum selbst mit Einziehung und Ausschwingung ein eigenes dynamisches Gesicht bekommt. Die Raumwinkel treffen nicht konkret aufeinander, sondern begegnen sich virtuell an einem außen liegenden Punkt. Der Raum, der hier für den Betrachter betretbar und gleichzeitig unabgeschlossen ist, wird zu einer ideellen Vorstellung von Raum. Die Offenheit des Körpers bedingt ein Hinterfragen des Begriffes Raum und qualifiziert die beiden Winkelelemente nachhaltig als skulpturale Formen und weniger als architektonische Setzung.

In der Arbeit „Pendant“ von 2003 wird dieses Prinzip weitergeführt, indem hier die Raumwinkel aufgegeben sind und Teile der Bohlen frei in den Raum gesetzt werden. Das „Baukasten-System“ löst sich hier immer stärker auf und bildet gleichsam virtuelle Raumkonstellationen, die der Betrachter nur assoziativ rekonstruieren kann und bei denen er sich im Raum zurechtfinden muss. Die Verwendung der Farbe Gelb leistet ein weiteres Element der Entmaterialisierung des Baustoffes Holz zu einer Raum stiftenden Qualität, die sich in gewissem Grade entmaterialisiert und den Raum als vor allen Dingen energetisch und gedanklich vorhanden thematisiert. Der energetische Prozess, um den es Benedikt Birckenbach in diesen Arbeiten geht, spiegelt sich in einer Innen- und in einer Außenskulptur wieder, wobei die Außenskulptur den im Innern sich darstellenden Ausstellungsraum, in die Situation vor dem Museum in Lyon überträgt und dort ein Geviert aus fünf Platanensegmenten mit einem Weidezaun umfängt, so dass hier ein Innen- und Außenraum wahrnehmbar wird, der nicht durch Wände oder architektonische Eingrenzungen gestiftet ist, sondern durch Richtungszeichen und den spürbaren elektrischen Energiefluss von Stab zu Stab. 

Dieses Prinzip der Verknüpfung von konkreten skulpturalen Elementen mit virtuellen energetischen Kraftfeldern verfolgt Benedikt Birckenbach auch in der Umsetzung der Arbeit „Pendant später“, indem er den im Innern befindlichen Ausstellungsraum gleichzeitig in einer zweiten Ebene vor das Kurfürstliche Gärtnerhaus in Bonn setzt. Dieses Prinzip von virtueller Raumbildung und konkreter skulpturaler Installation ermöglicht ihm ein erweitertes Umgehen mit dem Begriff von Raum und Volumina. Die Raumsetzungen, die der Bildhauer in seinen skulpturalen Installationen verfolgt, sind zwar wie in anderen bekannten Rauminstallationen auf Architektur und konkrete Räumlichkeiten bezogen, verfolgen aber in einer zweiten Dimension eine Übertragung auf einen ideellen Raum, der sich aus der eigentlichen konkreten Raumbestimmung selbst herauslöst. Diese ideelle Raumsetzung hat sehr viel mehr mit Vorstellungen und Wahrnehmungen eigener Körperlichkeit und eigener geistiger Gedankenkräfte zu tun. In diesem Kontext ist es nachvollziehbar, warum in den Arbeiten wie „Raum für Kagel“ oder der später entstandenen Arbeit „Versuch über eine Begrenzung“ Raum nicht nur als faktisches Volumen einer Architektur oder einer skulpturalen Dimension begriffen wird, sondern sich vielmehr mit einer geistigen Idee, sei sie philosophischer, historischer oder existenzieller Art, auseinandersetzt.

In der Arbeit „Versuch über eine Begrenzung“ greift Birckenbach zwar die Thematik des „Raumes für Kagel“ auf, arbeitet hier jedoch sehr viel stärker mit der Verschiebung von Raumebenen und Räumlichkeiten in eine Offenheit der Lesbarkeit und eine Ineinanderschichtung von Ebenen. Die in sich gekippten Raumelemente greifen ineinander ohne sich zu berühren, und vermitteln ein fast labyrinthisches Netz von Raumkräften und Raumelementen. Der nur im Inneren mit Gelb gefasste Raum unterscheidet sich deutlich von dem naturbelassenen Äußeren, das hier ein Spannungsfeld zwischen Innen und Außen in der Skulptur selbst ermöglicht. Wichtig ist im Kontext dieser Werkgruppe auch, dass die Arbeiten je nach Ausstellungssituation unterschiedlich aufgebaut werden können, so dass bisweilen der Innenraum begehbar oder in anderen Fällen verschlossen und unbetretbar gestaltet ist. 

Eine vergleichbare Thematik verfolgt auch die zunächst unterschiedlich wirkende Arbeit „Inside out“, die Birckenbach im Kunstverein Rhein-Sieg realisierte. In einem schmalen Gang des Treppenaufgangs wurden vier einseitig gelb gefärbte Bohlen zwischen den Wänden verkeilt und so in zwei Blickrichtungen fixiert. Auch hier entstand wie bereits in den früheren Arbeiten ein so genanntes Pendant. Die eine Seite zeigt den Innenraum, die andere Seite geht verweisend auf den Außenraum, wobei das Licht, das auf die gelben Flächen auftrifft, den Raum gleichsam in seiner Farbigkeit reflektiert.

Das Borobudur-Projekt nun nimmt das Thema Energie auf andere Weise auf. Ursprünglich für einen oktogonalen Raum im Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit bei München konzipiert, erfährt es eine Wandlung der Konzeption. Schon der Raum, ein Bunker für Versuche mit ionisierenden Strahlen, ohne jedes Tageslicht, hatte einen stillen, meditativen Charakter. Hinzu kam, dass der Zugang schneckenhausförmig um die Außenwände in das Innere führt, was Ähnlichkeiten mit dem Pilgerweg zur Besteigung des Borobudur hat. Vier glockenförmige Skulpturen, die aus Holzbohlen zusammengesetzt sind und die in ihren Maßen auf den Tempel Borobudur auf Java Bezug nehmen, dominieren dort den Raum. Benedikt Birckenbach hat nun jenes buddhistische Heiligtum mit dem Blick des Bildhauers interpretiert.

Der Tempel von Borobudur ist das größte buddhistische Bauwerk. Es ist aus rußschwarzem Andesit, einem jüngeren vulkanischen Ergussgestein, erbaut. Es handelt sich um eine gewaltige, abgeplattete Stufenpyramide, die ein Abbild des Kosmos verkörpert, wie ihn die Buddhisten des ausgehenden 8. Jahrhunderts verstanden. Er versinnbildlicht gleichzeitig Himmel und Erde sowie ihre Vereinigung durch die Lehre des Buddha. Von oben betrachtet wirkt diese Pyramide wie ein Mandala, also wie ein steinernes Lehrbuch auf dem Weg zur Vollkommenheit und Harmonie.[1] Bekrönt ist das Monument von einem Stupa mit einem Durchmesser von 11 m.[2] Dieser abschließende Stupa gibt dem Gesamtbauwerk seinen tieferen Sinn. Der stufenweise Aufstieg bis zum unzugänglichen Mittelpunkt liefert uns den letzten Schlüssel zu diesem Mandala aus Stein. Es ist die metaphysische Leere, die die einzige und grundlegende Wirklichkeit aller Wirklichkeiten symbolisiert, aller Schöpfungen und aller Energien, die ihrem Wesen nach vergänglich sind. Der Borobudur ist somit gleichzeitig ein physisches und metaphysisches Bild. Er ist in diesem Sinne kein Tempel oder Sanktuarium. Nie kam man hierher um zu beten, sondern letztlich um in ein geistiges Universum einzutauchen. Der Borobudur ist eine magische Stätte, die Kräfte und Gedanken aufnimmt. Die Gestaltung gleicht einer Spirale mit der abschließenden Stupa als Spitze. Der Pilger und Wahrheitssuchende erklimmt Stufe um Stufe dieser zur Erkenntnis führenden Spirale. Auf mehreren Ebenen steigt man empor und erlebt die Erzählstruktur der Reliefs, die abstrakten Formen der Stupas, die engen Gassen der Galerien und die weiten, offenen Terrassen mit Ausblicken in die Weite der Landschaft.

Das Zahlensystem des Borobudur und die darin wohnende Spiritualität schlägt sich mittelbar in den skulpturalen Setzungen von Birckenbach nieder. Das Wesentliche des religiösen Aspekts des Borobudur bleibt von außen unsichtbar. Der sakrale Gehalt des Monuments verbirgt sich hinter seiner Fassade. Seine Spitze wird durch drei konzentrische Kreise gebildet. Auf ihnen thronen 72 mit einem durchbrochenen Stupa, die unseren Glocken gleichen, bedeckte Buddhas. Die Stupas der beiden ersten Rundterrassen gewähren durch ihre rhombenförmigen Öffnungen einen Durchblick auf die überall gleichen Statuen des Buddha Vairocana, während sie durch die quadratischen Öffnungen an den Stupas der dritten Terrasse kaum noch wahrzunehmen sind. Der oberste und größte Stupa ist leer und zeigt den unsichtbaren und namenlosen Buddha. Der zentrale Stupa, dessen beeindruckende Gestalt sich zum Himmel erhebt, beherrscht das gesamte Bauwerk. Er ist die Vollendung des Borobudur, der allerletzte Punkt, auf den alles zuläuft.

In der Arbeit von Benedikt Birckenbach vermischen sich konkrete, ideelle und virtuelle Räume zu einem Sinnbild für Spiritualität. Birckenbach setzt jene glockenförmigen Stupas hier in konische Skulpturen um. Mit 1,70 m bis 1,80 m sind diese Objekte mannshoch und erlauben so keinen Einblick von oben in ihr Inneres. Das obere Viertel der Bohlen ist gelb gefasst und lässt die Holzstruktur in der Wahrnehmung zurücktreten. Jener sich gleichsam auflösenden Stofflichkeit entspricht die sich verjüngende Form, die potenziell in die Höhe weiter gedacht zu einer Schließung des Innenraumes führt. Je nach Präsentation verschließt Birckenbach jenen Innenraum, lässt ihn als Einblick offen oder legt das gesamte Objekt - wiederum das „Baukasten-System“ reflektierend - auf den Boden und verschließt so den Raum als real betretbares Element und öffnet ihn gleichsam als virtuelle Idee. Die Faszination des Prinzips, die sich in seiner Arbeit nachvollziehen lässt, zielt auf jene Besonderheit der Kraft des Innenraums, die nicht benennbar, messbar oder auch nur erfahrbar ist. Die Reflektion auf jene Glockenmodule, in denen als Erinnerungselement die Gestalt einer Buddhastatuette fassbar ist, wird hier zu einem virtuellen Raum, dessen Inhaltlichkeit und Energie allein durch seine Nichtanwesenheit respektive die Verweigerung zu einer konkreten Abgrenzung fassbar wird. Der Raum, mit dem Birckenbach sich in seinen skulpturalen Installationen auseinandersetzt, macht sich zwar immer wieder an konkreten Maßstäblichkeiten und Architekturen fest, lässt sich aber nicht allein auf eine solche Relation zurückführen, sondern spielt im Widerpart der Kräfte und Maßverhältnisse immer wieder vor allen Dingen mit jenen energetischen Volumina, die sich eher in der Welt der Ideen festmachen lassen als in der konkreten Welt von messbaren Dimensionen.
Dabei lässt sich der besondere Reiz der Arbeiten von Benedikt Birckenbach an der konkreten Gestaltung seiner Elemente festmachen, der Handwerklichkeit, die den Werken ebenso innewohnt. Das sinnliche Material des Holzes, die expressive Bearbeitung des Stoffes, die monumentale Gestaltung der Dimensionen, das riskante Wechselspiel von Labilität und Solidität, das immer an die Grenzen der Beanspruchung geführt wird, und die bewusste Einbeziehung von Farbigkeiten gibt den Arbeiten neben ihrer konzeptuellen Qualität auch die Kraft und Wirksamkeit bildhauerischer Kunst. Birckenbach thematisiert das Verhältnis des Betrachters zur Skulptur in besonderer Weise. Der Betrachter erfährt sich selbst und seine eigene Körperlichkeit in der Anschauung der Arbeiten. Der Betrachter wird Teil der Skulptur. Er nimmt die Skulptur nicht wie ein Bild wahr, sondern er erlebt sie als einen Teil, in dem sich sein eigener Körper wiederspiegelt und seine Erfahrung von Leben und Existenz eingefangen ist.

[1] Ursprünglich ist ein Mandala ein auf den Boden oder auf einem Wandbehang gezeichnetes, manchmal auch als Skulptur erscheinendes Diagramm, das die der Erde und der gesamten irdischen Schöpfung zugeschriebene quadratische Form mit dem Grundgewölbe des sichtbaren Himmels verbindet, dem Kreis, dem Symbol des Allgöttlichen.

[2] Stupa ist ein Monument zum Gedenken an den Tod des Buddha, das im Laufe der Zeit verschiedene symbolische Bedeutungen angenommen hat. Ursprünglich war ein Stupa lediglich ein Grabhügel. Später nahm er ausgearbeitetere Formen an und wurde zum Symbol des buddhistischen Glaubens.